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Blickwechsel

ein Zeichenangebot für Jedefrau und Jedermann

“Kunst ist für mich der kreative Ausdruck von Gedanken und Gefühlen, die einen bewegen, ob in der täglichen Arbeit, in der Malerei, in Tanz, Musik oder Sprache.”

Anna…16 Jahre

Es scheint etwas zu geben, was ein Kunstwerk beseelt , was uns zum Staunen bringt und im Innersten berührt. Etwas, was wir, knapp ausgedrückt, meist als „schön“ bezeichnen, weil mehr Worte dafür fehlen. Da, wo Worte fehlen, beginnt es spannend zu werden. An diesem Punkt ist die Chance auf eine andere Weise in die Geheimnisse der Dinge einzutauchen. Getragen von Intuition, Gefühlen und Gedanken kann hier eine kreative Reise starten. Joseph Beuys regt dazu an: „Ich denke sowieso mit dem Knie.“ Was jetzt? Verwirrung ist der Anfang von Ordnung. Tauchen wir ein ins Meer der ungesehenen Bilder, der ungehörten Gedanken, der sehnsüchtigen Gefühle nach dem eigenen Selbst…jenseits von Schönmalerei und schönem Schein. Das braucht den Mut gewohnte Bahnen des Sehens zu verlassen und braucht die Offenheit mit tieferen, inneren Augen schauen zu wollen.

Beim Betrachten von Kunst wie auch beim Kunstschaffen selbst gibt der Schriftsteller Andre Gide eine Spur vor:

„Nicht im angeschauten Ding, in Deinem Anschauen sei der Wert“

Wie schaue ich also? Lasse ich mich ein? Lasse ich mich inspirieren?

Bin ich offen dafür, mit meiner Wahrnehmung zu experimentieren, Neues zu erfahren, Fremdes zu erleben?

„Die Inspiration existiert, aber sie muss Dich bei der Arbeit finden“, sagt Picasso.

Was von innen nach außen drängt…vom Hintergrund in den Vordergrund….was aus dem Herzen heraus in den Blick fällt, was wieder verworfen wird, neu betrachtet und neu gedacht wird, was aus der Tiefe der Auseinandersetzung mit sich selbst in den Dialog mit dem Anderen und auch Fremden führt…all das weitet den eigenen Blick, nährt die Bewusstheit für das Selbst, würdigt statt wertet…sowohl das Gesehene, wie den, der sieht.

Das Zeichnen ist ein einfacher Weg den eigenen Blick zu weiten. Eine Übung…ein Prozess der Bewegung. Der Gedanke, dass der Bleistiftstrich die inneren emotionalen Bewegungen eines Menschen nach außen überträgt, kann neugierig machen.

Welcher Eindruck wird zum Ausdruck? Ich kann die Bleistiftstriche lesen lernen. Nicht wie ein festgelegtes starres Alphabeth, eher wie das Wasser eines Flusses…mal strudelt der Bleistift übers Papier und wirbelt Strukturen auf…mal glättet er Flächen, verdeckt, lässt durchschimmern…. mal setzt er Licht…mal Schatten…mal Konturen…mal Kontraste, mal rhythmische Felder und klare Formen, mal verschwommene Gebilde…usw. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Das oft gewohnte Muster ist bekannt…

„ich kann nicht zeichnen, ich kann nicht malen, das sieht doch ….. aus…“ große Papierkörbe füllen sich mit den Versuchen das „Eigene“ zu vertuschen. Füllen sich mit der verzweifelten Suche nach dem „gekonnten und schönen“ Bild.

Doch wie wäre es, etwas zu wagen, was noch wie ein Traum in einem schlummert…diese Schritte kann man üben…

Fangen wir bei den Basics an , beim Punkt. Ohne Punkt geht nix. Er ist das kleinste grafische Element. Die Schönheit des Punktes besteht darin, ihn erst einmal zu setzen. Ein Punkt ist eine großartige Zeichnung, weil er eine Entscheidung auf das Papier bringt. Weil etwas „ auf den Punkt kommt“. Von da geht es weiter zur Linie. Das Besondere beim Zeichnen ist das Umdenken. Während ich die Linie zeichne, achte ich auf das, was die Linie umschreibt. Ich löse mich von der Fokussierung auf die Linie und beginne die Fläche und den Raum auf dem Papier oder Malgrund zu erkunden. Die Kunst heisst : Einlassen, loslassen….Die Hand denkt auf ihre Weise. Führt den Bleistift umsichtig, einsichtig, entschieden, spontan, vertrauend, freudig, wütend , traurig…emotional. Die Hand ist wie ein verlängerter Arm des Herzens. Ein Graviergerät des “Innen”.

Den Bleistift blind in Absichtslosigkeit „spazieren gehen zu lassen“, wie es Paul Klee so schön sagt , ist mehr als nur eine nette Übung. Das innere Auge zeichnet archaisch, führt zu den Wurzeln zurück, zu den ersten Spuren der Felsritzungen, die seit Jahrtausenden in uns schlummern. Wie könnte es gewesen sein…damals.. Menschen gravierten ihre Freuden und Ängste auf die Felswände ihrer Höhlen….sie drückten diesen Zeichnungen Szenarien ihrer Phantasie aus…übergaben diese somit rituell an die höheren Mächte…sie schützten und stärkten sich mental, indem sie ausdrückten, was in ihnen schlummerte…. Sich dahin zu begeben, wo die Kunst aus innerer Notwendigkeit sichtbar wurde, lohnt sich. Sich frei zu machen für das, was das innere Auge sieht und nicht für das, was wir als Ergebnis erwarten. „Protect me from what i want“…meint die Künstlerin Jenny Holzer. In diesen Worten verbirgt sich der Mut zum Scheitern ebenso, wie der Mut etwas Neues und Berührendes zu schaffen. Etwas zu gestalten, was sich dem Blick unerwartet offenbart. Solche kleinen Offenbarungen sind wie ein zarter Blick in die Tiefen der Welt. Es braucht manchmal Durchhaltevermögen diese winzigen Wunder erkennen zu lernen und die Barrieren des gewohnten Sehens abzubauen. In jeder Zeichnung gibt es etwas zu entdecken und etwas zu staunen. Die Spanne zwischen Scheitern und Erfolg trägt sich leicht , wenn wir auf Wertung verzichten und Würdigung in den Vordergrund stellen. Wenn wir anerkennen, dass Authentizität etwas ist, dem ich mich mein Leben lang weiter und tiefer annähern kann. Auch über eine schlichte Zeichnung.

Erfolg ist etwas, das mich einholt, wenn ich meiner Spur aufrichtig folge. Wie heißt es manchmal etwas romantisch klingend „Folge deinem Stern“…ein ernsthafter Aufruf, das Herz offen zu halten für das, was leben will. Erlebe und staune!

© Barbara Strack